Die Altarbilder der Anita Rée in der Ansgarkirche

Das große Holzkreuz, einem Schwerte gleich, dominiert den Altarraum der Ansgarkirche.
Und hätte doch anders gewirkt, wären die Altarbilder Anita Rées, die die Hamburgische Landeskirche der damals jüngsten Kirche Hamburgs schenkte, aufgestellt worden auf dem schwarzen Altar. Sie standen dort nie.


Anita Rée Selbstbildnis
Am 9.2.1885 wurde Anita Clara Rée in Hamburg geboren. Tochter einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie, einer liberalen: Sie und ihre Schwester wurden evangelisch getauft und konfirmiert, genossen die typische Erziehung Hamburger Töchter aus gutem Hause: Sprachen, Literatur und Kunst an einer Privatschule (öffentliche höhere Schulen für Mädchen gab es in Hamburg erst ab 1910) und Klavierspiel.

Die hochbegabte Anita lässt früh künstlerische Neigungen erkennen und beginnt ab 1905 eine Malereiausbildung bei Arthur Siebelist, von den Eltern schweigend geduldet, in einer Zeit, die solche Betätigung – als Profession betrieben – für Frauen als unschicklich empfand. Skeptisch gegenüber ihrer künstlerischen Begabung – auch bedingt durch diese Einstellung der Umwelt - zeigt Rée einige ihrer Arbeiten Max Liebermann, der sie sehr ermuntert und wohl zu Studien in Berlin rät, die ihre Eltern aber zu verhindern wissen – an der Berliner Kunstschule zeichneten Schüler und Schülerinnen gemeinsam Akt (!).

1910 bildet sie eine Ateliergemeinschaft mit zwei Kollegen, die zerbricht, als sie sich in den einen unerwidert verliebt. Sie reist zu Studien für ein halbes Jahr nach Paris, wird 1919 Mitglied der Hamburger Sezession, lebt zwischen 1922-25 in Positano, Italien, wohl ihre glücklichste Zeit: malerisch kreativ und glücklich mit einem Kollegen, dem Maler Christian Selle.

Als diese Beziehung zerbricht, kehrt sie nach Hamburg zurück um hier als freischaffende Künstlerin zu leben, unter materiell schwierigen Bedingungen, nur zwei Großaufträge in den nächsten Jahren, und einen, um den sie sich selbst bewirbt als sie davon hört: ein Triptychon für den Altar der neuen Ansgarkirche in Langenhorn. Die Themen sind vorgegeben: Passion: Einzug in Jerusalem, Abendmahl, Verhaftung in Gethsemane im Innenteil, im Außenteil das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen.

Rée wird aufgefordert, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen, sendet ihre Entwürfe ein, findet Zustimmung und wird gebeten, Entwürfe in Originalgröße einzureichen.

Es ist das Jahr 1930, Ende November. Am Heiligabend des selben Jahres geht ein Schreiben des „Hamburger Tageblatts“ bei der Hamburgischen Landeskirche ein, erkundend, ob es stimme, dass die Jüdin Anita Rée mit der Ausgestaltung des Altars der evangelischen Kirche in Langenhorn beauftragt sei: „Als Nationalsozialisten könnten wir nicht verstehen, wie die Ausschmückung einer evangelischen Kirche an eine Jüdin vergeben werden kann.“

Die Drohung war unüberhörbar – gleichwohl erhielt Rée den Auftrag, endgültig im Februar 1931.

Die Bilder standen nie auf dem Altar der Kirche.
Der Kirchenvorstand der Lukasgemeinde, zu der die Ansgarkirche bis 1935 gehörte, lehnte die Bilder ab. Künstlerische Bedenken? Einfluss der nationalsozialistischen Drohung? Vielleicht beides, erstere könnten vorgeschoben, letzterer geleugnet worden sein – oder aber eben auch nicht.

Die Bilder gingen an die Hauptkirche St. Nikolai, wurden mutmaßlich dort eingelagert und wären dann bei der Zerstörung dieser Kirche in den Bombennächten 1943 mit verbrannt.

Wohl hatten Freunde Anita Rées das Werk erwerben wollen, waren aber nicht in der Lage, die 6000 Reichsmark zu bezahlen, die die Kirche Anita Rée gezahlt hatte und nun für das Werk verlangte.

Aber fotografiert haben sie die farbigen Bilder. Und deren Schwarz-Weiß-Reproduktionen in Originalgröße hängen seit gut 15 Jahren an der Orgelempore der Ansgarkirche.

Und laden immer wieder neu zum Betrachten ein, und nie weiß man, ob man sieht, was man sieht, oder nur hineininterpretiert, was gar nicht zu sehen ist. Aber gerade so entsteht Bewegung, wird auch so aus Kunst Kunst – im Auge des Betrachters.

Der Einzug in Jerusalem: Christus (sein Antlitz nachempfunden dem Christian Selles) auf dem Esel, Pilger mit Palmenzweigen ihn grüßend: täuscht es, oder ähnelt ihr Gruß auch dem Hitlergruß, ausgestreckter Arm, Christus dagegenhaltend mit segnender Gebärde?

Die Hände am unteren Bildrand der Einzugsszene finden sich in der Verhaftungsszene wieder, ebenfalls am unteren Rand, diesmal Fackeln tragend, Soldaten. Statt der beiden Grüßenden des Einzugs jetzt die Greifenden bei der Verhaftung: Zeigt sich bei diesen auch, was jene wirklich wollten? Vernichtung des Juden (Jesus)?

Und das Abendmahlsbild, die Jünger, die ihn alle verrieten oder im Stich ließen: Täuscht es, oder erinnert der Jünger am Bildrand unten links an Goebbels; und der fünfte von links: ähnelt er Hitler? Wird so die Passion Christi auch zum Hinweis auf die Passion der Juden in Deutschland, sich abzeichnend für Anita Rée - ungefähr 2 Jahre vor der Machtergreifung?

Wie auch immer, so oder so ist diese Darstellung der Passion von hoher Eindringlichkeit: in ihrer strengen Komposition – die Armverschränkungen etwa in der Verhaftungsszene, die den Eindruck eines Spinnennetzes entstehen lassen -, in den entsetzten Gesichtern der Jünger, dem anklagend- fragenden Blick des Judas - immer ins Auge des Betrachters - und in dem, was sich im Gesicht Christi spiegelt.

Und spiegelt auch die Passion der Anita Rée: ihre Leidenschaft für die Malerei und die eher unglücklichen Leidenschaften zu Männern (später wohl auch zu Frauen) und erinnert an ihren Leidensweg der Selbstzweifel, Einsamkeit und Ängste. Oft hatte sie von Selbstmord gesprochen, am 12. Dezember 1933 nahm sie sich auf Sylt mit einer Überdosis Veronal das Leben.

1995 wurde ihre Urne in Ohlsdorf auf den Althamburgischen Gedächtnisfriedhof umgebettet, nahe der segnenden Christusfigur.

Pastor Helge Martens

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